Für unser kürzlich verstorbenes und aktives Bürgervereins- und Gründungsmitglied Klaus Duntze verfasste Dieter Hoffmann-Axthelm (ebenfalls Gründungsmitglied im Jahr 1991) diesen Nachruf.
Klaus Duntze (6.2.1935 - 26.7.2016)
Er gehörte zu jenen Menschen, die man, wenn man nicht Teil des engsten Umkreises war, nicht zuhause trifft, in seiner oder in der eigenen Wohnung, sondern auf dem jeweiligen Schlachtfeld.
Mit anderen Worten, wer nicht zu seiner Familie gehörte, lernte ihn über Auseinandersetzungen um Stadt und Gemeinwohl kennen, oder über Buchprojekte, oder beides. Und an Auseinandersetzungen war im Leben von Klaus Duntze kein Mangel.
Aber er führte sie auf seine Art, ruhig, beständig, geradlinig, durch nichts, aber auch gar nichts aus der Ruhe zu bringen, unermüdlich dabei, scheinbar unüberbrückbare Feindschaften und Widersprüche zu vermitteln, und doch alles andere als nachgiebig oder kompromisslerisch. Dabei ohne Scheu vor ermüdender, scheinbar erfolgloser Gremienarbeit.
Ein Unbeirrbarer, der selten von sich selbst, umso mehr von den Dingen redete, die ihm gerade wichtig waren.
Er kam aus gutbürgerlichen Verhältnissen, Sozialisation im früh wieder gesättigten Süddeutschland, und ging, mit alledem brechend, in das ferne Westberlin, die asthmatische Insel im Staatsgebiet der DDR. Dort blieb er, dort fand er, der frisch ausgebildete Theologe, nach wenigen Zwischenetappen seine erste Lebensaufgabe, in und an SO36, östlichstes Kreuzberg, denkbar größter Gegensatz zu den Verhältnissen, aus denen er kam. SO 36 hat ihn nicht mehr losgelassen, er hat es auf seine trockene, ganz praktische Art geliebt.
Das heutige Berlin weiß nicht mehr, wie viel es ihm damit verdankt. Man muss sich das vorstellen, wie es in den siebziger Jahren in Kreuzberg zuging. Rund ums Kottbusser Tor wurde das alte Kreuzberg abgerissen, während die Studentenbewegung zwar die Kahlschlagsanierung als politisches Thema entdeckt hatte, aber noch nicht recht wusste, was ihr wichtiger war, der Abriss als Material, um damit den Klassenkampf zu befeuern, oder die Verteidigung einer sozialen Welt. Bis SO36 war man, ob wohnend oder politisierend, noch gar nicht vorgedrungen.
Klaus Duntze dagegen war damals Pfarrer an der Marthakirche in der Glogauer Straße, hart an Mauer und Landwehrkanal. Er brauchte keine Parteiorganisation und kein Bekenntnis zu dieser oder jener Form marxistischer Orthodoxie. Er war schon lange genug dort, um die Menschen und die Verhältnisse zu kennen und zu wissen, worum es ging.
In SO36 hatten ja gleichsam die zwanziger Jahre noch nicht aufgehört - schmutzige, über hundert Jahre nachgedunkelte, kaum je gepflegte Häuserfronten, Straßen ohne Bäume, heruntergekommene, die Häuser kaum noch instandgehalten, kleine Wohnungen, viele davon feucht geworden, kurz vor dem Ausbruch in die neu erbaute Großsiedlung Gropiusstadt.
Ganze Familien drängten sich noch in der klassischen Küche-Stube-Wohnung mit ihren 34 Quadratmetern Grundfläche samt Kachelofen und Außenklo. Der Pfarrer Duntze klagte nicht auf der Kanzel, er suchte und fand den baupolitisch möglichen Weg, dies zu ändern: die Strategien für Kreuzberg. Eine Wettbewerbsausschreibung, die 1977 startete und alles das zum ersten Mal praktizierte, was dann Routine wurde:
Bewohnerbeteiligung, alle Beteiligten, vom Hausbesitzer bis zum Senat, an einem Tisch, Verpflichtung auf unmittelbar praktische Folgen. Mithin z.B. Legalisierung der Instandbesetzung, Eintritt der IBA-Alt in einen langjährigen Erneuerungsprozess, der Versuch, Altbevölkerung und einwandernde Türken gleich zu behandeln und zusammen zu bringen.
Mit dem Wechsel an die Thomaskirche veränderten sich nicht nur die räumlichen Zusammenhänge seiner Tätigkeit. Die Stadterneuerung war ausreichend institutionalisiert, der Standort Thomaskirche rückte zwei andere Themen in den Vordergrund, zum einen das Verhältnis von Kirche und Obrigkeit, Gemeinde und Kirchenleitung, zum anderen die historische Einheit Luisenstadt.
Den inneren Zusammenhang der beiden Themen und ihre intime Verknüpfung mit der Thomaskirche brachte die breit angelegte historische Untersuchung zutage, zu der er sich in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre freistellen ließ.
Über diese Arbeit, "Kirche zwischen König und Magistrat. Die Entstehung der bürgerlichen Kirche im Spannungsfeld von Liberalismus und Konservatismus im Berlin des 19. Jahrhunderts", hat er dann auch promoviert - die luisenstädtischen Hauptzeugen und Kontrahenten an der Hand:
Bachmann, der königstreue Pfarrer und Historiker der Luisenstadt, und Kochhann, der freisinnige Bäcker-Unternehmer und führende Stadtpolitiker, kirchenbaulich die Dialektik von konservativer Jakobi- und liberaler Thomaskirche.
Und dann, nach der Vereinigung von 1990, seine zweite große Stunde. Tatsächlich praktisch zusammenbringen, was zusammengehört, nachdem es 40 Jahre getrennt war. Die gegenseitigen Abstoßung war ziemlich unerschütterlich, verschiedene Welten, während der Bezirk Kreuzberg, kaum wart die Mauer weg, seine eigenen Sperrgürtel gegen Mitte installierte (sie bestehen bis zum heutigen Tage!).
Duntze machte sich mit unverminderter Geduld und Leidenschaft an die entgegengesetzte Arbeit, Kreuzberg und südöstliches Mitte städtebaulich, vor allem aber im Zusammenleben der Menschen unter der alten historischen Klammer Luisenstadt zusammenzubringen.
Mit seiner Hilfe und Initiative entstand 1991 der Luisenstädtische Bürgerverein: seitdem der Sachwalter einer Einheit, die weder von den beiden Bezirken noch von den Bewohnern diesseits und jenseits der alten Grenze bislang ausreichend angenommen wird.
Wenn es, z.B., auf dem Boden von Mitte gelang, die Barth'sche Gartenanlage des ehemaligen Luisenstädtischen Kanals unter dem Todesstreifen wieder auszugraben und in seiner alten Schönheit neu herzustellen, mit dem kleinen Paradies des Engelbeckens als Kernstück, so endet das bis heute an der Kreuzberger Grenze. Die Fortsetzung zumindest bis zum Oranienplatz wurde von wutschnaubenden Kreuzberger Baumfetischisten blockiert.
Klaus Duntze, der Unermüdliche, rettete die Idee dann immerhin in seine großangelegte Geschichte des Kanals, er, der ja nicht nur Kirchenmann auf den Grenzen der Amtskirche war, sondern immer auch schreibender und organisierender Vermittler zwischen Gesellschaft und Kirche war.
Begraben ist er nun auf dem Alten Luisenstädtischen Friedhof in der Bergmannstraße, ganz in der Nähe jener Honoratioren, die einst die Luisenstadt groß gemacht und ihm im Handeln wie in seinen Büchern zu Leitsternen geworden waren.
Dieter Hoffmann-Axthelm
Ein weiterer Nachruf von Christian Müller ist online zu lesen auf der Webseite des Förderkreises der St. Thomaskirche. Klaus Duntze war Pfarrer an St. Thomas in der Zeit von 1990-1994:
Zum Tode von Klaus Duntze - Ein Nachruf von Christian Müller
Einige Bilder von der Beerdigung auf dem Alten Luisenstadt-Friedhof finden Sie hier im Blog von unserem Vereinsmitglied Wieland Giebel.
Für den Berlin Story Verlag schrieb Klaus Duntze das wichtigste und schönste Buch über den Luisenstädtische Kanal und das Engelbecken.