Bürgerverein Luisenstadt e.V.

Heinrich Runge

Man sieht den Magistrat vor lauter Runge nicht.

Die Rungestraße in Mitte wurde nach dem am 26.11.1886 verstorbenen Stadtrat und Kämmerer Heinrich Runge benannt. Sein Ehrengrab liegt auf dem Luisenstädtischen Friedhof am Südstern. Warum gab man einer Straße seinen Namen? Warum hat Heinrich Runge ein Ehrengrab auf dem Luisenstädtischen Friedhof?

Heinrich Runge wurde am 15. Dezember 1817 in Zehdenick in der Uckermark geboren. Er stammte aus bürgerlichen Verhältnissen, sein Vater besaß ein Handelsgeschäft mit Holz und Holzkohlen in Berlin. 1822 ließ er ein Haus in der Köpenicker Straße 92 erbauen, ein Jahr später übersiedelte die ganze Familie nach Berlin. Der junge Heinrich Runge erhielt seine Schulbildung in einer Privatschule und auf dem Joachimsthalschen Gymnasium. Als der Vater starb, trat er in das Geschäft ein, das seine Mutter fortführte; das Geschäft wurde nach wenigen Jahren aufgelöst.

Heinrich Runge beschäftigte sich nun mit kommunalpolitischen Fragen. Im Januar 1844 erschienen von ihm vier Artikel, die sich mit dem Armenwesen in Berlin beschäftigten. Im ersten Artikel ging er von der völlig unbefriedigenden Situation der Proletarier aus, schilderte die Bemühungen der Wohltätigkeitsvereine zur Milderung des Elends und schlug Maßnahmen zur Veränderung vor. Die von Runge vorgeschlagenen Unterstützungs-Kassen sind praktisch ein Vorläufer der heutigen Arbeitslosenversicherung, die Beschäftigungsanstalten haben heute die Form von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen angenommen, und die Armenwohnhäuser existieren in Form von Sozialwohnungen.

Runge forderte bereits damals, daß „der Mietpreis mit Rücksicht auf die Bewohner festgestellt werde, weshalb sie denn städtisches Eigentum sein und sich nicht im Besitz von Privaten befinden müßten, denn die Baulustigen nehmen auf kleinere Wohnungen, wie sie der Mittelstand und die große Zahl der Armen bedarf, gar keine Rücksicht, da sie nicht lukrativ sind." Im gleichen Jahr wandte sich Runge mit einer kleinen Schrift an seine Mitbürger und bewarb sich als Stadtverordneter. Diese Schrift nannte Runge „Mein Glaubensbekenntnis".

Runge hatte völlig neue Gedanken über die Arbeit eines Stadtverordneten vertreten. Er schrieb: „Ein solches Ehrenamt sollte man aber nicht nur mit Freuden aus den Händen seiner Mitbürger annehmen; man sollte es auch erstreben, eifrig, aber offen und indem man sich ohne Scheu der Öffentlichkeit dahingibt. Hintreten sollte man vor die Wahlversammlung, ihr sagen: so bin ich und das will ich; seid ihr mit meinen Ansichten einverstanden, haltet ihr mich für fähig, ihnen Geltung zu verschaffen, habt ihr sonst keine Bedenken gegen mich - nun, dann bin ich euer Kandidat und bitte um eure Stimme; im Gegenteil weise ich eure Stimme zurück, dann kann und darf ich euer Kandidat nicht sein." In der Schrift vertrat Runge auch seine Meinung zu den damals brennendsten kommunalpolitischen Fragen: der Mahl- und Schlachtsteuer, dem Schuldentilgungsplan, den zu hohen Verwaltungskosten, dem Schulwesen und der Armenverwaltung.

Runge wurde bei der Nachwahl als Stadtverordneter gewählt. Damit begann seine kommunale Laufbahn. Die publizistische Tätigkeit war zeitlebens ein wesentlicher Bestandteil seiner Arbeit. In Vorbereitung der Wahlen 1845 stellte er nochmals seine Anforderungen an einen Stadtverordneten dar: unabhängig, unerschrocken und unermüdlich, sparsam, tätig. Runge schrieb: „Wer mit offenen Augen um sich blickt und sehen will, der wird es sich nicht leugnen können, daß Berlin einem Defizit, einer neuen Schuld, einer neuen Steuer entgegen geht.

Kaum verhältnismäßig steigern sich die Einnahmen, aber schon die gewöhnlichen Ausgaben nehmen außer allem Verhältnis zu. Und nun noch die außerordentlichen Ausgaben, wo keine solchen Einnahmen sind! Ihr Betrag steigt für die nächsten Jahre schon in die Hunderttausende und er wird noch bedeutend anwachsen. Neue Wünsche, deren Erfüllung nicht abgelehnt werden kann, werden überall laut; neue Forderungen erheischen Befriedigung, neue Verpflichtungen werden übernommen. Mit Recht verlangt man daher, daß jede unnütze Ausgabe vermieden, jede nachteilige Verpflichtung strenge von der Hand gewiesen wurde." Hier gab Runge schon die Richtung vor, die er 26 Jahre später als Kämmerer der Stadt Berlin einschlug und 15 Jahre lang bis zu seinem Tod konsequent verfolgte.

Nach der Niederschlagung der Revolution durch Wrangels Einrücken in Berlin und dem konservativen Schwenk des Magistrats, trat Runge von seinen Ämtern zurück, wurde jedoch 1849 wiederum in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Auf dringendes Ersuchen trat er auch wieder dem Magistrat bei. Außerdem übernahm er den Vorsitz des Großen Berliner Gesundheits-Pflege-Vereins der mit dem Ziel gegründet war, sich unter den Augen der Polizei politisch betätigen zu können. Auch dieser Verein, der zuletzt 11 000 Mitglieder umfaßte, wurde als politisch gefährlich aufgelöst.

Da Runge aber auch bei politischen Vereinigungen, die heimlich noch fortbestanden, tätig war - so als Vorstandsmitglied der demokratischen Partei - mußte er 1850 emigrieren. Runge nahm seinen Wohnsitz für die folgenden 12 Jahre in der Schweiz. Dort betätigte sich Runge erfolgreich als Altertumsforscher und setzte auch seine schriftstellerische Tätigkeit fort.

1858 wurde in Preußen ein liberal-konservatives Kabinett gebildet, das eine „neue Ära" einleitete. 1859 kam es zur Bildung des Deutschen Nationalvereins, 1861 zur Gründung der Fortschrittspartei. Im gleichen Jahr wurde Runge, als er sich zu Besuch in Berlin aufhielt, zum Abgeordneten im Preußischen Abgeordnetenhaus gewählt. Danach kehrte er endgültig nach Berlin zurück. Er wurde sofort in die Stadtverordnetenversammlung und im Juni desselben Jahres zum besoldeten Stadtrat gewählt.

Gleichzeitig wurde Runge auch Mitglied des konstituierenden und des ordentlichen Norddeutschen Reichstages und gehörte später auch dem Deutschen Reichstag an. Hier schied er aber 1876 wegen Überlastung aus.