Bürgerverein Luisenstadt e.V.
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Interview zum Thema Kiezblocks mit Dr.-Ing. Stefan Lehmkühler (Changing Cities e.V.) und Christian Unger (Sprecher Kiezblockinitiative Nördliche Luisenstadt) am 24.1.2022

BVL: Kiezblocks werden in vielen Zusammenhängen, unter anderem auch im Bürgerverein Luisenstadt viel und teilweise auch kontrovers diskutiert. Grundsätzlich geht es immer darum, den Kfz-Durchgangsverkehr aus dem Wohngebiet herauszuhalten und so die Lebensqualität der dort Wohnenden zu verbessern. Wie kam es zur Kiezblock-Bewegung und seit wann gibt es diese Initiative?

 St.L.: In Berlin ist die Kiezblock-Bewegung vor etwas mehr als zwei Jahren bei Changing Cities  entstanden. Wir hatten einen Termin in der Stadtwerkstatt in der Karl-Liebknecht-Straße und da kam es zur Idee, es in Berlin anzugehen und zu überlegen, was Changing Cities beisteuern kann, damit sich das großflächig ausbreitet. Changing Cities macht das alles ehrenamtlich. Wir haben überlegt, was könnte Menschen helfen, die ihre Kiezblock-Initiative an den Start bringen wollen. Was brauchen Sie genau? Wir haben im Lauf der Zeit verschiedene Unterstützungsmaterialien und Unterstützungsformen ausgearbeitet. Mittlerweile gibt es über 50 Kiezblockinitiativen in Berlin, die wir unterstützen, die in unterschiedlichen Stadien sind, sei es bei der Erstkonzeption, bei der Unterschriftensammlung oder bei der Realisierungsplanung des Kiezblocks.  

BVL: Auf der Homepage von Kiezblocks stehen die Zahlen 54/180. Also 54 sind die jetzigen Initiativen, aber wie kommt die Zahl 180 zustande?  

St.L.: Wir haben uns überlegt, wieviel Kiezblöcke wir pro Bezirk umsetzen wollten, und wenn in jedem Berliner Bezirk 15 Kiezblöcke entstehen, sind wir bei 180.  

BVL: Wer plant diese Kiezblöcke eigentlich? 

C.U.: Kiezblocks sind keine zentral gesteuerte Bewegung. Changing Cities gab den Anstoß und stellt auch einige Werkzeuge bereit. Aber die Kiezblock-Ini‘s sind Bewegungen, die rein aus der Bürgerschaft in den jeweiligen Kiezen kommen. Deswegen gibt es so unterschiedliche Formen und Ausprägungen, keine Kiezblock-Initiative gleicht der anderen. Das Thema bewegt die Menschen in der Stadt und wird aktuell lebhaft und mit hohem Interesse aufgenommen.  

BVL: Du sagtest gerade, Changing Cities stellt die Instrumente zur Verfügung. Was sind das für Instrumente? 

C.U.: Beispielsweise Arbeitshilfen oder methodische Unterstützung. Welches Werkzeug kann ich in der Initiativarbeit anwenden? Wie kann ich die Forderung, ich möchte etwas verändern an einem Zustand, formulieren? Also zum Beispiel über einen Einwohner*innenantrag, so wie wir es jetzt hier bei uns in der nördlichen Luisenstadt machen. Aber auch Arbeitshilfen im Sinne von Checklisten oder Best Practices, wie kann ich so etwas sinnvollerweise umsetzen? Was ist einfacher, was ist schwieriger umzusetzen? Worauf sollte man sich fokussieren in der Öffentlichkeitsarbeit?  

BVL: Gibt es einen Austausch zwischen den einzelnen Kiezblöcken? 

St.L.: Ja, früher hieß es „Dr. Kiezblock“, jetzt heißt das Austauschformat „Heute Stadt Morgen“ und findet auch in der Stadtwerkstatt statt, aktuell nur virtuell. Da kann man sich als Kiezblock-Initiative oder Interessierte dazu schalten und erfährt, was in anderen Kiezen gut funktioniert hat oder was schwierig war. Wie bestimmte Arten zu plakatieren angekommen sind oder ob es sich lohnt, Flyer herauszugeben, also welche Erfahrungen die unterschiedlichen Kiezblock-Initiativen gemacht haben. Das wird da besprochen, um gemeinsam effizienter und schneller weiterzukommen.

Ideen und Umsetzung 

BVL: Und wer soll es dann umsetzen und genau planen? 

C.U.: Bei Kiezblocks geht es um die Neuverteilung von öffentlichem Raum, und das ist per se eine hoheitliche Aufgabe. Umsetzen kann es am Ende immer nur der jeweilige Bezirk, weil wir uns ja im Nebenstraßennetz bewegen. Es geht also um Anliegerbereiche, wo Menschen in großer Anzahl auch wohnen.  

Aber diesen Anstoß dafür zu geben und auch zu zeigen, wir als Anwohner*innen im Kiez wollen das und es steht nicht nur eine einzelne Meinung dahinter, sondern es ist eine ziemlich breite Bewegung, das liegt natürlich bei den Anwohner*innen selbst. Genau dafür arbeiten wir, das auch in die Politik und Verwaltung hineinzutragen. Wir haben auch in vielen Bezirken Unterstützung aus den Fraktionen in den BVVen signalisiert bekommen. Also das Thema ist angekommen.  

St.L.: Es ist so, dass die Initiative selbst, also die Zivilgesellschaft, Ideen hat oder sich angeguckt hat, was in anderen Kiezen funktioniert hat und ob z.B. Diagonalsperren oder Einbahnstraßen in ihrem Kiez implementiert werden könnten. Aber die Umsetzung, das Anordnen, Bauen oder markieren lassen, ist eine hoheitliche Aufgabe und muss vom Bezirk erfolgen. 

BVL: Der Bezirk hat natürlich nur Zugriff auf bestimmte Straßen. Bei Bundesstraßen hat der Bund den Zugriff, dann gibt es Hauptverkehrsstraßen mit dem Zugriff vom Senat und auf die, die nicht unter diese Kategorie fallen, da hat der Bezirk den Zugriff? 

St.L.: Genauso ist es. 

C.U.: Die Bezirke leiden sehr unter Personalmangel, das betrifft auch das Straßenwesen. Insofern gehen wir als Kiezblock-Initiativen an vielen Stellen erheblich in die Vorleistung. Wir führen Verkehrszählungen durch und erheben Zahlen zum Durchgangsverkehr. Wir stellen Vorüberlegungen an, wie der reine Durchgangsverkehr sinnvoll unterbunden werden kann. Also wir fordern nicht nur und sagen, jetzt muss aber mal etwas kommen vom Amt, sondern unterstützen durch eine sehr intensive Beschäftigung mit der Materie. Das ist auch das Berücksichtigen von Vor- und Nachteilen - wir gucken uns auch an, was nicht geht.

Mögliche Maßnahmen: Einbahnstraßen und Poller  

BVL: Heute gab im Tagesspiegel unter dem Titel „Unterwegs nach Pollerbü“ einen Bericht über verschiedene laufende und geplante Kiezblöcken in Berlin. Welche Maßnahmen sind neben Sperrungen von Kreuzungen durch Poller zur Verkehrsreduktion denkbar?  

St.L.: Einbahnstraßensysteme ist ein großes Thema im Nebenstraßenbereich. Aber es ist schwierig, denn wenn man nicht mit physikalischen Maßnahmen arbeitet, hält sich im Endeffekt keiner an die Verkehrsregeln. Ich komme gerade aus der Friedrichstraße, da sind an einer Seite die Sperren einfach weggeräumt worden. Da fuhr ein Lieferant und schon fahren drei, vier, fünf Leute wieder rein, obwohl dort das Schild „Durchfahrt verboten“ steht. Es hält sich aber keiner daran. Wenn die physische Sperre nicht da ist, fährt trotzdem jeder durch. Ich habe schon gesehen, dass - auch wenn die Sperre steht - mit dem Auto über den Bürgersteig gefahren wird.  

Man kann das beklagen mit den Pollern; ich finde sie auch hässlich. Aber was will man sonst machen? Bei Einbahnstraßensystemen geht es über Verkehrszeichen. Aber wir haben an der Linienstraße festgestellt, dass Autos auch gegen die Einbahnstraßenrichtung durchfahren. Dann bleibt oftmals nur noch das Quersperren oder die Wegnahme von Straßenland. 

Diese sogenannte „Teileinziehung von Straßenland“ wäre auch eine Möglichkeit, dass zum Beispiel eine Grünfläche hinzukommt. Aber das ist relativ aufwendig. Da muss man Tiefbaumaßnahmen in Betracht ziehen. Poller einsetzen und das entsprechende Verkehrszeichen sind ganz normale Maßnahmen zur Verkehrsregelung. Das geht daher relativ schnell.

© Kiezblockinitiative© Kiezblockinitiative

C.U.: Es gibt mehrere Stufen von Eingriffsmöglichkeiten. Das Erste ist, ich stelle ein Schild hin, aber Schilder sind geduldig. Damit erreicht man nur eine begrenzte Wirkung der Lenkung.  

Die beste Möglichkeit wäre natürlich, wenn man Straßenland an der Stelle, wo Verkehr nicht mehr erwünscht ist, umbaut. Zum Beispiel in Schöneberg im Bereich Crellestraße, da waren in den 80er, 90er Jahren schon Straßen gesperrt, dann wurde umgebaut. Das dauert sehr lange und es kostet viel Geld. Und in Zeiten knapper Kassen wird vieles nicht realisiert.  

Da stellt sich die Frage, wie kommt man aus diesem Dilemma heraus? Und daraus ist die Idee der Poller geboren. Dass kostet nicht viel Geld, hat aber genau die Wirkung, die es erzielen soll. Der einzige Nachteil ist, es ist nicht schön. Aber das ist dann noch das geringste Übel. 

BVL: Aber es kann auch Wege verlängern, wie im Wrangel-Kiez. Durch die ganze Wrangelstraße zu fahren ist nicht mehr möglich, Quersperrungen bringen Umwege mit sich. 

St.L.: Ja, die Wege für den Kfz-Verkehr werden unter Umständen länger. Wenn man von Süden kommt und nach oben im Norden im Kiez will, dann ist das so. Dann nutzt man die Hauptverkehrsstraßen, die dafür vorgesehen sind und fährt nicht durch die Wohnstraßen. Die Nebenstraßen sind die untergeordneten Straßen, sie sind nur als Erschließungsstraßen gedacht, um mit dem Auto zu seinem Haus zu kommen. Das ist bei Kiezblöcken immer noch gewährleistet. Jeder Platz oder jedes Haus, jede Adresse ist weiterhin mit dem Kfz erreichbar, nur nicht mehr über alle Wege. Aber der Durchgangsverkehr soll nicht erlaubt sein.

Unterschiedliche Kieze und viele Fragen 

BVL: Nun sind Kieze sehr unterschiedlich was die Infrastruktur betrifft, Läden, Grünflächen. Ich habe es so verstanden, dass ein Kiezblock immer an die jeweiligen Bedingungen anknüpft, es kein Konzept gibt, dass für alle gilt, sondern dass die jeweiligen Besonderheiten mitberücksichtigt werden. Wie sieht das in der Praxis aus?  

C.U.: Das ist der große Vorteil, dass es kein zentral gesteuertes Konzept gibt, sondern die Menschen vor Ort diese Konzepte erarbeiten. Sie wissen, was in Ihrem Kiez los ist, wo das Krankenhaus ist oder die Feuerwehr, wo die Schule oder die Kita ist. Sie beobachten das Verkehrsgeschehen jeden Tag, nicht nur mal werktags von 16.00 bis 18.00 Uhr, sondern auch am Wochenende, in den Ferien. Wenn jemand irgendetwas plant, der die Situation vor Ort nicht kennt, entstehen oft Fehler. Und die werden durch die Kiezblock-Initiativen vermieden.  

BVL: Im Tagesspiegel-Artikel von heute ist unter anderem auch beklagt worden, dass die Kiezblock-Initiativen überwiegend aus dem akademischen Milieu kommen. Stimmt das?  

C.U.: Ich weiß nicht, wer von den Menschen, die sich bei uns jedes Mal zusammenfinden und engagieren, einen Studienabschluss hat oder nicht. Das spielt auch keine Rolle. Wir stehen als Initiative allen Menschen offen, die im Kiez wohnen. Wer sich engagieren möchte, ist immer herzlich eingeladen. 

St.L.: Bei einem Einwohner*innenantrag reden wir von 1.000 Unterschriften. Das können nicht alles Akademiker*innen sein. Aber was soll das auch für ein Argument sein? Im Endeffekt geht es darum zu sagen, was wird hier in Bewegung gesetzt und wer bringt was nach vorne?  

BVL: Gegen die Ziele hat wohl niemand etwas. Ich habe jedenfalls noch niemanden gehört, der gesagt hat, ich will hier ganz viel Durchgangsverkehr haben. Aber es gibt viele Fragen: Wo fährt dann der Verkehr durch? Gibt es nicht noch mehr Belastungen in den Hauptverkehrsstraßen? Was passiert mit den Parkplätzen? Komme ich noch zu meinem Haus? Kommt die Feuerwehr dahin? 

St.L.: Kiezblöcke werden getragen von der Ortskenntnis. Diejenigen, die vor Ort sind und die Kiezblock-Initiative gestartet haben, kennen die Gegend. Jeder Ort und jedes Haus sind weiterhin per Kfz erreichbar, aber der Durchgangsverkehr soll nicht über Wohnstraßen fahren, sondern soll auf den Hauptverkehrsstraßen fahren, weil diese dafür vorgesehen sind.  

In Berlin gab es in den letzten sieben Jahren einen permanenten Rückgang von Kfz-Fahrten. In Mitte zum Beispiel werden nach Zahlen des Senats von 100 Wegen nur 12 mit dem Kfz gemacht. Alles andere passiert entweder zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem ÖPNV. Warum muss ausgerechnet durch Wohngebiete abgekürzt werden? Weil die Ampel da vorn rot ist? Die Hauptverkehrsstraßen sind ausgebaut mit entsprechenden Sicherheitsstandards, mit entsprechenden Breiten. Sie heißen Hauptverkehrsstraßen, weil hauptsächlich da der Verkehr fließen soll und nicht in den Nebenstraßen mit Kopfsteinpflaster. Wenn man dort nicht wohnt, hat man da in der Regel mit dem Auto auch nichts verloren. 

C.U.: Wenn wir unterwegs sind, um Unterschriften zu sammeln oder wenn wir mit Anwohnenden sprechen, hören wir diese Fragen häufig. Das resultiert zum Großteil daraus, dass das Thema neu ist. Und wie bei allen neuen Themen gibt es erstmal Unsicherheiten. Ich weiß, wie es heute ist, aber wie wird es morgen werden?  

Jeder ist unterschiedlich davon betroffen. Es gibt Menschen, die auf ihr Fahrzeug angewiesen sind. Und wenn wir denen erklären, dass es nicht darum geht, hier jemandem sein Auto zu verbieten oder seinen Parkplatz wegzunehmen, dann entspannt sich die Situation auch in der Diskussion ganz häufig. Es gibt viele flankierende Themen gerade, die auf Kiezblock bezogen werden, aber eigentlich damit nichts zu tun haben: die Veränderung der Innenstädte, dass es zu heiß wird, dass das Regenwasser besser versickern muss. Das ist alles richtig, uns geht es aber konkret darum, dass der Durchgangsverkehr auf die Hauptverkehrsstraßen und nicht in die Wohnkieze gehört.  

St.L.: Wenn man sich anguckt, was in Barcelona und in anderen Städten passiert ist, auch bei Kiezblöcken in Berlin, wenn nur noch die Nachbarn durchfahren, wird auch nicht mehr so gerast. Das ist eine andere Art von Verkehr, auch was den Kfz-Verkehr angeht.  

Es kommt hoffentlich mehr dazu, dass man sagt, wir laufen und nehmen das Auto nur, wenn es nicht anders geht, dass es also insgesamt weniger Kfz-Verkehr gibt, auch von denen, die dort wohnen. Die Wegenetze für zu Fuß gehen, für Radfahren und ÖPNV bleiben komplett unangetastet. Aber das ist nicht das primäre Ziel von Kiezblock, der Fokus liegt darauf, den Durchgangsverkehr aus Wohngebieten herauszuhalten. Nichts anderes. 

BVL: Wir kennen das gut aus spanischen Städten, wo der Innenstadtbereich oft vollkommen autofrei ist, der Anwohner- und Lieferverkehr nur zu bestimmten Zeiten zugelassen ist. Diese Orte dort sind ausgesprochen lebendig.  

St.L.: Das sind nicht unbedingt Kiezblocks, das ist flächenhafte Verkehrsberuhigung, was Altstadtbezirke oder den gewerblichen Bereich angeht, wie zum Beispiel in der Friedrichstraße Da sind extra Ladezonen vorgesehen, damit Lieferanten und Paketdienste, auch Handwerker und Handwerkerinnen, immer einen definierten Parkraum haben, der für sie freigehalten wird. Aber das ist ein Thema, das nicht zu den Kiezblöcken gehört. 

BVL: Aber es ist ein Puzzlestein, dass man erstmal anfängt, dort, wo die Menschen leben, wo sie sich begegnen, wo sie einkaufen können, dass sie da nicht den vorbeifahrenden Autos aus dem Weg springen müssen. 

C.U.: Da sind wir auch schon in der Ergebniswirkung des Ganzen. Wenn ich nicht mehr den Durchgangsverkehr habe, der mir die Straßen vollmacht, dann habe ich natürlich auf einmal Fläche, dann entstehen auch Ideen, was kann man denn damit eigentlich machen? Da kann die Gastronomie die Tische und Stühle nach draußen stellen, dann kann ich auch wieder am Fahrbahnrand sitzen. Da würde ich mich heute nicht freiwillig hinsetzen, weil jede drei Sekunden ein Auto vorbeikommt. Das ist eine positive Folgewirkung, die dann entsteht.  

BVL: In Einbahnstraßen brauchst du nicht mehr zwei Fahrspuren. Dann ist schon eine frei.  

St.L.: Ja, man muss natürlich immer die Rahmenbedingungen für Feuerwehr haben. Wir gehen ein bisschen weiter, wir denken zum Beispiel an Schleppkurven für ein dreiachsiges Müllfahrzeug. Wenn die mit reduzierter Geschwindigkeit über die Kreuzung kommen müssen, kann man dann eine Diagonalsperre anbringen? Das muss auch mit bedacht werden. 

Kiezblock Nördliche Luisenstadt 

BVL: Die örtlichen Kiezblock-Initiativen Engelbecken und Alte Jakobstraße haben sich im Oktober letzten Jahres zusammengeschlossen zum Kiezblock Nördliche Luisenstadt. Wer ist daran beteiligt? 

© Kiezblockinitiativ

C.U.: Wir sind eine Initiativgruppe mit aktuell etwa 40 Aktiven, insofern haben wir viel Unterstützung. Es gibt inzwischen drei Bereiche, am Engelbecken, den Bereich um die Alte Jakobstraße herum und seit Ende letzten Jahres auch eine Gruppe, die sich um den Bereich am Märkischen Museum kümmert. 

Strenggenommen sind es drei Kiezblöcke, aber wir haben uns entschieden, das Konzept gesamtheitlich zu betrachten, weil die Luisenstadt historisch gesehen ein eigenes Stadtviertel war und die Verkehrsachsen weiterhin durch dieses ursprüngliche Konstrukt hindurchführen. Da macht es wenig Sinn, nur einen einzelnen Bereich als Kiezblock herauszunehmen und zu sagen, nur in dem Bereich will ich den Durchgangsverkehr nicht.  

Wir hatten rund um die Alte Jakobstraße drei Verkehrszählungen durchgeführt und dabei dann festgestellt, dass sich der Verkehr quer durch die Luisenstadt zieht. Allein in der Alten Jakobstraße sind das 60.000 Verkehrsbewegungen pro Woche. Das haben wir nicht nur einmal gezählt und dann hochgerechnet, sondern über eine dauerhafte Zählung ermittelt mit einem Gerät, das den Verkehr misst. Und diese Zahl bleibt so hoch, weil sich inzwischen Verkehrsströme konsequent und systemisch von den Hauptverkehrsstraßen in die Nebenstraßen verlagert haben. Da fahren die Menschen jeden Tag lang und zur Rush Hour morgens und abends ist es wirklich die Hölle. 

BVL: Ich kenne das, wenn ich zu bestimmten Zeiten mit dem Auto nach Hause fahre, ist in der Alten Jakobstraße Dauerstau. Und die Straße ist nicht breit. 

C.U.: Sie ist planungsseitig und verwaltungsrechtlich auch nicht dafür gemacht, das ist eine Anliegernebenstraße, die unterste Straßenkategorie. Veränderungen muss man aber gesamtheitlich denken, da kann man nicht sagen, naja, dann mache ich das Stück verkehrsfrei. Dann geht der Verkehr über die nächste Brücke in die nächste Seitenstraße. Insofern müssen wir das über die Luisenstadt insgesamt betrachten. Wir kooperieren daher auch eng mit der Kiezblockinitiative im südlichen Teil der Luisenstadt, der verwaltungsrechtlich zum Bezirk Kreuzberg gehört. Und da Nebenstraßen Bezirkssache sind, betrifft es zwei unterschiedliche BVVen und zwei unterschiedliche Bezirksverwaltungen. 

BVL: Das ist natürlich nicht einfach. Hier in Mitte gibt es Parkraumbewirtschaftung und in Kreuzberg gibt es sie nicht oder nur sehr, sehr vereinzelt. Das sieht man sehr gut in Teilen der Sebastianstraße, die eine Seite gehört zu Mitte mit durchgängigen Anwohnerparkplätzen, die andere Seite gehört zu Kreuzberg ohne bzw. nur einigen wenigen Anwohnerparkplätzen. Als logisch denkender Mensch fragt sich man dann schon manchmal, was das eigentlich soll. 

C.U.: Ja, die Luisenstadt gehört zusammen und muss daher auch zusammenhängend betrachtet werden. 

St.L.: Wir machen das. Und wenn die Verwaltungen nachziehen, wird es bestimmt gut. Wir gehen davon aus, dass wir maßgeblich von den Diagonalsperren, die auf der Kreuzberger Seite installiert werden sollen, profitieren werden, weil die Verkehrsströme so sind. Es steht ja nicht an jeder Bezirksgrenze eine Schranke. Deshalb macht es Sinn, sich anzusehen, wie sieht es hier aus und wo greift die Maßnahme am besten? Ob das nun in Mitte ist oder auf der anderen Straßenseite und eine Querstraße weiter. Es geht darum, zu wissen, wie das Verkehrsgeschehen aussieht, was davon erforderlich ist und was nur Abkürzungen sind. Dann kann man dementsprechend handeln. 

BVL: Es gibt diese Unterschriftenaktionen zum Einwohner*innenantrag an die BVV mit der Aufforderung, ein entsprechendes Konzept zu entwickeln. Ihr habt vorhin gesagt, ihr fordert nicht nur, ihr macht auch Vorschläge. Wie sehen sie für die Nördliche Luisenstadt aus? 

C.U.: Wir haben ein Verkehrskonzept mit einer Planung für jeden der oben genannten Teilbereiche. Auf der Karte ist ersichtlich, wo wir entsprechende Maßnahmen vorschlagen. Wenn wir so weit sind, dass wir in die BVV herantreten, werden wir diese Pläne auch mitgeben.

Kiezblock NLklein© Kiezblockinitiative

BVL: Das ist vorrangig ein Einbahnstraßenkonzept und Poller, wo es nicht anders geht oder sinnvoll sind? 

St.L.: Genau. Wir sitzen ja gerade im Café Am Engelbecken, hier oben fährt der Bus und da muss man überlegen, wie das gehen kann. Es gibt in Berlin leider aktuell keinen Standard für versenkbare Poller. Dieser wäre hier aber erforderlich. Das heißt, auch die BVG-Busse, Paketdienste, Feuerwehr etc. brauchen immer einen Transponder, damit der Poller runterfährt, damit sie passieren können und dass der Poller hinterher wieder hochfährt. Dazu müssen sich alle, die „Stadtservice“ machen oder für Ordnung sorgen, wie Feuerwehr, Polizei, Müllabfuhr, Krankenwagen zusammensetzen. Da organisieren wir auch eine Runde. 

BVL: Ich kenne versenkbare Poller aus der Altstadt Köpenick. Anwohnende geben einen Code ein, fahren durch und dann geht er wieder hoch. Ein einfaches Prinzip eigentlich. Das ist natürlich für Busse schwer praktizierbar. 

C.U.: Bisher ist so etwas auch eher in zufahrtsbeschränkten Bereichen eingesetzt worden, dort Wohnende kriegen einen Transponder. Das ist im öffentlichen Raum eine ganz andere Herausforderung, da fährt jeden Tag ein anderer Busfahrer. Das Müllauto kann jeden Tag oder jede Woche ein anderes sein, da muss man sich konzeptionell Gedanken machen. Auch das tun wir.  

BVL: Wie ist denn der Stand der Unterschriftenaktion aus dem Kiezblock Nördliche Luisenstadt? 

C.U.: Wir haben einen Einwohner*innenantrag formuliert und im Herbst ca. 350 Unterschriften dafür gesammelt, gehen allerdings seit Anfang Dezember pandemiebedingt nicht mehr in die Öffentlichkeit. Voraussichtlich im Frühjahr, wenn die äußere Situation es wieder zulässt, werden wir die Sammlung aber fortsetzen.  

Andere Kiezblock-Initiativen haben auch gute Erfahrungen mit dem Instrument einer Online-Petition gemacht. Wir müssen aber unterscheiden, mit welchem Werkzeug die jeweilige Initiative arbeitet. Das Prozedere eines Anwohner*innenantrags ist amtlich vorgeschrieben, das heißt, wir brauchen eine physische Unterschrift. Wir überlegen aber, parallel dazu auch eine Online-Petition zu starten und sind zuversichtlich, dass wir im Frühjahr wesentlich vorankommen.  

BVL: Die BVV-Mitte ist doch ziemlich offen für diese Konzepte, oder? 

St.L.: Die BVV-Mitte hat beschlossen, Kiezblöcke einzurichten, unter anderem Nördliche Luisenstadt. Es gibt verschiedene Parteien, die das unterstützen, wenn wahrnehmbar zivilgesellschaftliches Engagement vorhanden ist. Wenn es nicht 1.000 Unterschriften werden, bringt die Fraktion den Antrag ein. Die politische Unterstützung ist vorhanden. Wir werden weiter Druck machen und es auch von Changing Cities weiter unterstützen. 

C.U.: In Berlin muss man bekanntlich einen langen Atem haben, um am Ende etwas auf die Straße zu bringen. Aber den bringen wir mit. Es gibt uns als Kiezblock-Initiativen in der nördlichen Luisenstadt jetzt schon über ein Jahr. Und wir bleiben dran, auch wenn es uns bewusst ist, dass es noch ein paar Tage dauern wird, bis es so weit ist, dass mal Poller oder Umsetzungen zu sehen sind.  

BVL: Wir haben hier in unserem Bereich eigentlich schon seit langem einen Kiezblock ohne Durchgangsverkehr, den ganzen Bereich der Wohnungsbaugenossenschaft Berolina. Es gibt keinen Durchgangsverkehr, aber viele Grünflächen, Anwohnerparkplätze, Tiefgaragen, Spielplätze und Treffpunktmöglichkeiten. Gibt es einen Austausch mit der Berolina? Sie haben vielleicht Erfahrungen gemacht, von denen man von profitieren kann. 

C.U.: Ja, der Bereich ist wirklich schön ruhig und grün. Wir haben auch in unserer Initiative Einwohner*innen aus diesem Bereich und wenn man mit den Menschen spricht, die dort wohnen, äußern sie sich auch total zufrieden. Das zeigt, wie attraktiv so eine Umgebung ohne Durchgangsverkehr ist. Aber vorne ist die Annenstraße und seit die Roßstraßenbrücke wiedereröffnet ist, geht der Verkehr wieder da durch. Also dieser starke Kontrast, hinten grün, vorne starker Verkehr, das macht deutlich, wo der Handlungsdruck ist. Wir nehmen solche Hinweise auf und sagen, was können wir davon lernen? Auch im Bereich Alexandrinenstraße ist ganz viel gebaut worden und Bereiche sind verkehrsberuhigt, über die Sperrung einzelner Straßen ist Verkehr rausgenommen worden. Das ist eine begehrte Ecke, auch weil die Rush Hour nicht mehr jeden Morgen und Abend an den Fenstern vorbeigeht.  

Wir sind natürlich auch mit den Akteuren hier in der Luisenstadt im Austausch, zum Beispiel mit der Betroffenenvertretung und mit dem Bürgerverein. Davon leben wir auch, dass wir uns untereinander vernetzen. Der Bürgerverein ist auch schon viele Jahre im Verkehrsbereich tätig, da müssen wir nicht alles von Anfang an erfinden, sondern gucken, was ist schon da und wo kann man sinnvollerweise auch auf Erreichtem aufsetzen. 

Kiezblock Kreuzberger Luisenstadt 

BVL: Kommen wir nochmal zur südlichen Luisenstadt, Kiezblock Kreuzberger Luisenstadt. Gibt es bezirkliche Unterschiede zwischen Mitte und Kreuzberg, was Planung und Umsetzung von Kiezblöcken betrifft?  

St.L.: Die südliche Luisenstadt ist schon ein bisschen weiter und uns zeitlich voraus. Kreuzberg ist schon länger mit der Verkehrswende beschäftigt, Mitte hat im Endeffekt fünf Jahre verschlafen. Die Initiative in der südlichen Luisenstadt hat mehr als 1.000 Unterschriften zusammen und sie stehen kurz vor der Anordnung. Mit dem Straßen- und Grünflächenamt in Kreuzberg war es bislang deutlich einfacher als in Mitte. Mit der neuen Bezirksstadträtin, Frau Dr. Almut Neumann von den Grünen, sind wir jedoch recht zuversichtlich, dass auch wir weiterkommen. 

Aber das Dilemma sind die Planstellen und die Personalsituation. Wenn man mit Planerinnen und Planern spricht, hört man sie oft sagen, wenn ich etwas bewegen will, gehe ich in Berlin lieber nach Friedrichshain/Kreuzberg und nicht nach Mitte. Das können wir nicht steuern, sondern müssen sehen, was in Mitte geht. 

Ich halte den Ansatz, den Mitte jetzt wählt, Kiezblocks mit den neu anzulegenden Fahrradstraßen zu kombinieren, für eine vernünftige Idee. Es muss einfach jetzt etwas auf die Straße kommen, sonst sind nochmal fünf Jahre weg. Auch im Hinblick auf die Klimakrise, viereinhalb Jahre können wir CO2 noch so wie jetzt verbrauchen, danach sind die 1,5 Grad gerissen. Die Stadt wird austrocknen und wir werden Hitzesommer haben wie 2018, da sind über 480 Menschen in Berlin an Hitze gestorben, deutlich mehr als im Straßenverkehr. Da denkt man schon nach und muss ein bisschen Tempo entwickeln.  

BVL: Ja, ich denke auch, dass man nicht unendlich viel Zeit hat. Kreuzberg hat etliche Kiezblocks, aber in der Kreuzberger Luisenstadt kenne ich nur den am Lausitzer Platz.  

St.L.: Lausitzer Platz ist etwas kleiner gefasst. Das Konzept zieht sich runter bis zur Oranienstraße und umfasst einen größeren Bereich, der uns südlich sozusagen komplett abdeckt. Wenn das dortige Kiezblock-Konzept umgesetzt wird, dann werden wir den ganzen südlichen Bereich der Luisenstadt schon abgedeckt haben. Das kann auch bereits einen positiven Effekt für uns bringen.  

© Bündnis Berliner Straßen für Alle

C.U.: Es hat sich im letzten Jahr einiges bewegt auf der Kreuzberger Seite. Schon in der letzten Legislaturperiode gab es in der Bezirksverwaltung eine sehr positive Stimmung zum Thema Verkehrsberuhigung, und da war Kiezblock noch kein so präsentes Thema. Die Kiezblock-Initiativen dort erfahren eine sehr breite Unterstützung durch das Straßen- und Grünflächenamt und durch die politische Führung. Dort werden bereits konkrete Umsetzungsschritte gegangen. Es geht natürlich auch in Kreuzberg nicht von heute auf morgen, aber das Vorgehen ist deutlich stringenter, auch auf Seiten der Verwaltung. Es wurde deutlich früher begonnen, sich im Verkehrswesen neu zu orientieren. Am Rande: Auch der Kiezblock südliche Luisenstadt ist übrigens ein Konstrukt aus mehreren Einzelinitiativen, die sich zusammengetan haben.  

BVL: Das macht Sinn, im Gesamten zu denken und nicht nur für einen Block. 

St.L.: Es hört jedoch bei der Hauptverkehrsstraße auf. Wir sagen, der motorisierte Individualverkehr soll entsprechend der Funktion von Straßen verteilt werden. Die Hauptverkehrsstraßen sollen genutzt werden. Dementsprechend gibt es natürliche, geografische Grenzen, das ist dann im Endeffekt die Hierarchie des Straßennetzes. Die Hauptstraßen werden nicht angefasst.

Oranienstraße – früher schon an später denken 

BVL: Was ist denn mit der Oranienstraße, die ab 2024 umgebaut werden soll? Ich dachte, die Oranienstraße sei auch eine Hauptverkehrsstraße. 

St.L. Das ist eine andere Geschichte. Es gibt verschiedene Kategorien stadtentwicklungsplanerischer Mobilität. Die Oranienstraße ist eine Straße der Kategorie Drei, und wir unterhalten uns üblicherweise über die Straßen der Kategorie Fünf, also Nebenstraßen im Nebennetz. Oranienstraße ist daher keine Kiezblock-Thematik und auch die Friedrichstraße ist kein Kiezblock. Das sind Verkehrsberuhigungsmaßnahmen oder Umwidmungsmaßnahmen, die sich auf einzelne Straßensegmente beziehen. Das hat mit dem Kiezblock-Gedanken an sich nichts zu tun. 

C.U.: Aber es hat große Auswirkungen auf den Kiezblock.  

St.L.: Die Frage ist ja, was passiert? Es ist wichtig, dass wir das gesamthaft betrachten. Ich sage es einmal ganz platt, wenn die Kiezblöcke rund um die Oranienstraße nicht vorher stehen, dann ist klar, wo der Ausweichverkehr hingeht, wenn die Oranienstraße zugemacht wird. Daher muss man überlegen, was sind die Hauptverkehrsstraßen, die den Verkehr der Oranienstraße aufnehmen und wie wird verhindert, dass der Kfz-Verkehr durch Wohnblöcke fließt. Das heißt, früher schon an später denken und gucken, dass man die Kiezblock-Initiativen weiter voranbringt.  

Wenn es Verlagerungseffekte geben soll, dann muss sich das auf Hauptverkehrsstraßen beschränken. Der Plan kann nicht sein, ich mache jetzt eine Hauptverkehrsstraße ein Stückchen zu und leite den Verkehr durch Wohnstraßen hindurch. Ich glaube aber nicht, dass Friedrichshain/ Kreuzberg so aufgestellt ist. 

Wir haben das Thema aber auch in Mitte. Nicht nur in unseren Bereich hier, auch Mühlendammbrücke, Gertraudenbrücke, was passiert dann? Sollen alle über die Rathausstraße fahren? Man muss eben vorher überlegen, was soll dann passieren, sei es mit Oranienstraße oder Mühlendammbrücke, wohin wird der Verkehr dann geleitet? Wir haben auf der Gertraudenstraße mehr Kfz-Bewegungen als auf manchen Segmenten des Autobahnrings. Wenn man weiterguckt, Leipziger Straße ist der Bevölkerungsschwerpunkt von Mitte. Da kann man sich schon fragen, macht es Sinn, da erneut eine Stadtautobahn durchzubauen? Aber das sind andere Themen. 

Ich glaube, wenn wir jetzt nicht bei Kiezblöcken ein bisschen Tempo machen, wird es zwangsläufig dazu kommen, dass weiter auf den Nebenstraßen abgekürzt wird. Daher macht es jetzt Sinn zu überlegen, wo man Kiezblöcke machen kann, wo die Hierarchie des Straßennetzes wieder hergestellt werden kann. 

Luxusvarianten und preiswerte Lösungen 

BVL: Du hast schon das Thema Kosten angesprochen. Egal was man macht, auch Kiezblöcke gibt es nicht zum Nulltarif. Gibt es eine Hausnummer, um was für Summen es sich ungefähr handelt? Wer soll die tragen, Senat oder Bezirk, wenn es um Nebenstraßen geht? 

St.L.: Die Konzeption setzt aktuell auf das rot-grün-rote Bündnis, das im Bereich Verkehr einen Unterstützungsfond aufsetzen will, beziehungsweise Haushaltspositionen schaffen will. Die BVV-Mitte hat beschlossen, dass in dieser Legislatur zwölf Kiezblöcke realisiert werden sollen, unter anderem Nördliche Luisenstadt. Wenn wir in der Luisenstadt mit dabei sind, wird es sicherlich in Abhängigkeit von den Maßnahmen auch eine Kostenkalkulation geben.  

Der versenkbare Poller in der Crellestraße hat mit Einbau knapp 40.000 Euro gekostet, das ist aber eine Luxusausführung. Wenn man eine autorisierte Telefonnummer hat, ruft man den Poller an und es wird geprüft, ob es ein autorisiertes Telefon ist. Wenn ja, fährt der Poller runter, man fährt rüber und er geht wieder hoch. Sowas wäre vielleicht eine Möglichkeit für hier oberhalb des Cafés, wo die Busse fahren. Alles andere ist nur Verbauen von Stahl, der mit Beton ausgegossen ist. Das kostet nicht so viel. Preiswerter wäre natürlich, ein Schild aufzuhängen und Striche auf den Straßen zu ziehen. Aber Markierungen interessieren in Berlin keinen.  

C.U.: Infrastruktur kostet Geld – und Kiezblocks sind eben auch Infrastruktur. Keiner fragt, was es kostet, eine Straße zu sanieren, über die jeden Tag jede Menge Fahrzeuge fahren. Denn wenn weniger Fahrzeuge dort fahren würden, muss nicht nach fünf, sondern erst nach zehn Jahren die Fahrbahndecke erneuert werden. Es ist also nicht so, dass das, was heute verkehrlich stattfindet, kostenneutral wäre. Wir planen mit kleinen minimalinvasiven Maßnahmen. Wir fordern keinen Stadtumbau und es muss nicht für Millionen Infrastruktur angepasst werden. Insofern beweisen wir Augenmaß und Geld kann nicht das Argument sein, zu sagen, deswegen möchte man Kiezblocks nicht umsetzen. 

St.L.: Wir sind mit den Maßnahmen, die wir im Auge haben, preiswert. Bei verkehrsberuhigten Bereichen wird das Niveau auf der kompletten Breite angeglichen und Bordsteine verschwinden für eine große Verkehrsfläche, auf der sich alle bewegen können. Das fordern wir hier nicht, sondern sagen, stellt da eine Pollerreihe hin und dann ist das Thema erledigt.  

C.U.: Der Vorteil davon ist, auch wenn sich etwas nicht bewährt, ist es wieder zurückbaubar. Das ist auch häufig die Kritik, man weiß nicht, was dabei rauskommt. Wir sagen, lass es uns doch mal ausprobieren.  

BVL: Pankow will zwei Kiezblöcke befristet machen mit einer wissenschaftlichen Begleitung. Wie willst du hier feststellen, was sich bewährt oder nicht? 

St.L.: Die Zielsetzung ist klar. Wenn der Durchgangsverkehr rausgenommen wird, funktioniert das mit den Maßnahmen.  

BVL: Aber wer stellt das fest? Sind das weiterhin die Kiezblock-Initiativen, die wieder Verkehrszählungen machen? 

St.L.: Es gibt bei uns Studierende, die dann dastehen und zählen. Wir haben einen Förderantrag gestellt beim Umweltbundesamt, um eine kleine Zähl-App an den Start zu bringen. Letztlich finden sich aber immer Menschen für Verkehrszählungen und man kann mit den entsprechenden Methoden schnell zu eindeutigen Ergebnissen kommen und feststellen, was ist Durchgangsverkehr, was ist Ziel- und Quellverkehr.  

C.U.: Es gibt inzwischen Programme zum Stadtumbau, die zielen auch darauf ab, was wir als Initiative verfolgen, nämlich weniger Verkehrsfläche.  Denn wenn die Straße keine Straße mehr ist, sondern da Bäume stehen oder ein Grünstreifen ist, dann habe ich auch keinen Durchgangsverkehr mehr. Das zeigt doch, dass die Kiezblock-Initiativen mit ihren Forderungen nicht nur Partikularinteressen von ein paar Menschen sind, sondern dass auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene erkannt wurde, wir müssen dagegen steuern. Es wurde jahrelang viel zu sehr auf das Thema Verkehr und Durchgängigkeit fokussiert.  

BVL: Ja, Verkehr muss neu gedacht werden. Gibt es noch etwas, was ihr hervorheben möchtet, was wir bisher nicht besprochen haben?  

St.L.: Was immer hilft, ist natürlich mehr Unterstützung. Es ist nicht so, dass man nichts bewegen kann! Das ist die Erkenntnis. 

Wer hätte gedacht, dass wir auf einmal 40 Leute am Start haben, die sich für das Thema interessieren? Man muss einfach anfangen und etwas machen. Wer Interesse hat, ist gerne eingeladen, mitzutun. Man braucht kein großes Fach-Knowhow, sondern kann einfach hinkommen, mitmachen und sagen, ich unterstütze das Thema. Da findet sich sicherlich eine einfache Aufgabe. 

C.U.: Stimmt. Wir haben hier bei uns in der Ecke sehr unterschiedliche Wohngebiete, Neubau, 50er Jahre Bestandsbauten, die grüne Situation bei Berolina, die Hochhäuser. Und wir bekommen Zuspruch aus allen Ecken.  

Wir treffen uns als offene Gruppe und jeder, der zu uns kommen möchte, ist herzlich eingeladen. Wir treffen wir uns jeden zweiten Montag im Monat um 18.30 Uhr im Dialog 101 in der Köpenicker Straße, wo auch die Betroffenenvertretung ihr Domizil hat. Jeder ist willkommen, wo auch immer er herkommen mag. Wir sind eine wachsende Gruppe, haben Anfang des letzten Jahres begonnen, mit zwei, drei Leuten und jetzt sind wir knapp über 40. Es ist auch niemand gezwungen, aktiv etwas zu tun. Alles ist auf Freiwilligkeit aufgebaut und jeder tut das, was er kann und was er möchte. 

 

Das Gespräch führte Beate Leopold