Reichsgründung – die Luisenstadt in der Kaiserzeit
Nach der Reichsgründung wurde die Luisenstadt zum dichtest besiedelten Stadtteil Berlins mit dem höchsten Anteil an Produktionsstätten. Der Bauboom der Gründerzeit schuf unvorstellbare Wohnverhältnisse, wie sie Zille skizzierte und die Arbeitersanitätskommission anprangerte – bis zu hundert Einwohner lebten 1875 auf einem Grundstück der nach Hobrechts Plänen bis zum Landwehrkanal erweiterten Luisenstadt.
Aber auch die Infrastruktur profitierte von dem neuen Reichtum: bis 1900 entstanden 25 Gemeindeschulen; die Anlage der neuen Verkehrswege begann mit dem Görlitzer Bahnhof 1864 an der eben eingerissenen Stadtmauer und 1905 wurde die Hochbahn zum Schlesischen Tor eröffnet. Das weltberühmte ‚Exportviertel Ritterstraße‘ entstand mit vierhundert Fabrikationsstätten in 24 Straßen, die letzen Flächenreserven in den Blöcken wurden zugebaut, es gab erste Abrisse alter Bausubstanz zugunsten größerer Gewerbebauten wie die Kaufhäuser am Moritz- und Oranienplatz.

Aber sein ‚politisches Testament‘ faßte er in den Sätzen zusammen:
„Mir selbst gab die Gewißheit, allezeit im Geiste der Städteordnung für das Gedeihen meiner Vaterstadt während der großen Zeit ihrer Entwicklung zur Reichshauptstadt mein bescheidenen Teil beigetragen zu haben, die höchste Befriedigung. Ich hatte den Segen der ruhmreichen Schöpfung Steins erfahren und erkannt, daß die freie Mitarbeit des Bürgers an der Ausgestaltung seines Gemeinwesens Männer erziehe, die im Falle der Not nicht verzagen, im Wohlstand sich nicht zu überheben vermessen.“

Die Kirche war mit dem bürgerlichen Lager auf die Seite des Staates gerückt, kein Partner für das Proletariat. Die St. Thomas-Gemeinde, von der Stadt 1869 als Gegenstück zum königlichen Bethanien am Mariannenplatz erbaut, war vor der Jahrhundertwende mit ca. 150.000 Seelen zeitweilig die größte Parochie der Christenheit, die von ihr 1887 abgetrennte Emmaus-Gemeinde wurde schon wenige Jahre später weiter filialisiert: Tabor, Martha und – in den 20er Jahren – Ölberg entstanden (und rücken heute wieder zu Gemeindeverbünden zusammen).
