Bürgerverein Luisenstadt e.V.

hobrack costa
Regina Costa und Volker Hobrack sind seit vielen, vielen Jahren aktiv im Bürgerverein Luisenstadt. Beide lebten jahrelang nahe der Berliner Mauer. Regina Costa hat den Mauerbau als Kind unmittelbar miterlebt. 1960 war sie mit ihrer Familie in die Neue Jakobstraße gezogen, in einen der ersten Nachkriegsbauten im Gebiet. Sie besuchte die Schule in der Sebastianstraße (heute City-Grundschule).

"Kurz vor dem 13. August 1961 kamen manche Kinder plötzlich nicht mehr zur Schule, dann waren die Familien in den Westen gegangen. In unserer Familie wurde nicht viel über die Mauer diskutiert: meine Mutter war eine SED-Funktionärin und dafür; ich war dagegen."

Mehr möchte sie dazu nicht sagen, man kann sich vorstellen, dass es tiefe Konflikte gab. Ihre Eltern brachen den Kontakt zur "Westverwandtschaft" ab, weil die SED bei ihren Funktionären das verlangte. Regina Costa aber bekam in der Schule mit, wie andere Familien unter der plötzlichen Trennung litten. "Die erste provisorische Mauer bestand aus Ziegelsteinreihen mit Stacheldraht und Spanischen Reitern. Anfangs konnten Westberliner Familienangehörige noch Päckchen in den Osten werfen – mit Kaffee und Lebensmitteln. Das ging dann nicht mehr, als der breite Todesstreifen angelegt und die Grenze immer weiter ausgebaut wurde. Doch zu Beginn durfte man sogar noch in den Grenzbereich."

Später mussten Anwohner ihren Ausweis vorzeigen; wer jemanden im Ostberliner Grenzgebiet besuchen wollte, musste einen Besucherschein beantragen. "Nur die Fritz-Heckert-Straße (heute wieder Engeldamm) war später wieder ohne Kontrolle begehbar – vielleicht wegen des dortigen Krankenhauses, das wir Kinder die ›Abdeckerei‹ nannten, weil dort die hoffnungslosen Fälle lagen."
Die Mauer prägte auch Regina Costas Alltag. "Über das ursprünglich geplante Schulhofgelände verlief nun der Postenweg. Hinter der Schule saßen Grenzsoldaten im Wachturm. Sie konnten direkt in unser Physikkabinett sehen, und wir sahen sie." Auch im Turm der Luisenstädtischen Kirche, die bei dem Bombenangriff am 3.2.1945 stark zerstört worden war, hielten sich zeitweise bewaffnete Grenzer auf. 1964 wurde die Ruine abgerissen.

Regina Costa erzählt, dass unmittelbar nach dem Mauerbau in Ostberlin wieder Lebensmittelmarken für Butter, Wurst und Fleisch eingeführt wurden, um Schwarzhandel zu verhindern.

1968, in jenem Jahr, als Regina Costa aus dem Viertel wegzog, kam Volker Hobrack von der TH Magdeburg als Ingenieur nach Ostberlin. Er wurde gebraucht, um die technische Logistik eines neuen Kaufhallenverbandes aufzubauen. Die großen Selbstbedienungskaufhallen ersetzten die alten Tante-Emma-Läden.

Hobracks erster Arbeitsplatz befand sich ganz in Grenznähe: in der Rheinsberger Straße, nahe der Bernauer. "Wenn man den Ausweis vergessen hatte, konnte man gleich umkehren.

Vom Arbeitszimmer im 4. Stock aus konnten wir über die Mauer sehen. Von der Straßenrandbebauung auf der Ostseite der Bernauer waren nur noch Reste übrig. Einmal war ein Bagger im Todesstreifen zugange – offenbar war ein Fluchttunnel entdeckt worden und wurde nun verplombt. Gerade in dichtbebauten Gebieten gab es etliche Fluchttunnel, weil die Wege dort am kürzesten waren.

Es war wahnsinnig gefährlich, schon wegen des Luftmangels oder auch Einsturzgefahr. Den Erdaushub beiseite zu schaffen, war schwierig. Nicht selten flogen Tunnelbauer auf, weil jemand von der ›Fünften Kolonne‹ (so wurden Spitzel und Denunzianten auf Westberliner Seite genannt, d. Autorin) in einem Westberliner Hof einen Erdhaufen entdeckt hatte und das in den Osten meldete." 1985 zog Volker Hobrack in die Michaelkirchstraße, in einen Neubaublock nahe dem Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße.

Er, der nie in der SED war und sich auch den "Kampftruppen" verweigerte, wohnte nun im sensiblen Grenzbereich, um ihn herum vor allem staatstreue SED-Mitglieder, "Sicherheitsnadeln" (so nannte man Stasi-Angehörige) und Angehörige der "bewaffneten Organe". "Man sah den Leuten das an – nicht nur, weil sie montags zu Parteiversammlungen gingen oder samstags zu Kampfgruppenübungen."

Die Grenzanlagen waren im Laufe der Zeit immer weiter ausgebaut und technisch perfektioniert worden, Ende der 1970er zählte man bereits die "dritte Generation". Öfter hörte er Schüsse aus dem Mauerstreifen, doch die galten nicht unbedingt Flüchtlingen.

"Die Grenzer haben wohl öfter einfach auf Karnickel geschossen, weil es so stinklangweilig war, dort nachts Wache zu schieben, und oft nur ›Keine besonderen Vorkommnisse‹ gemeldet werden konnten." Doch es gab natürlich auch die Fluchtversuche. Hobrack, der sich im Bürgerverein Luisenstadt und auch in der Gedenktafelkommission des Bezirks mit Stadtgeschichte beschäftigt, weiß viel darüber.

Zum Beispiel diese bemerkenswerte Geschichte: Am 13. September 1964 versucht der 21-jährige Michael Meyer zu fliehen und wird kurz vor Erreichen der Westseite von Grenzern angeschossen. Er ruft um Hilfe, doch auf Ostseite scheint man ihn verbluten lassen zu wollen. Auf der Westseite hört ein amerikanischer Sergeant die Rufe und rettet den Schwerverletzten, indem er ihn an einem Seil über die Mauer zieht. Genau an diesem Tag ist auch Martin Luther King in Westberlin – und lässt es sich nicht nehmen, sofort den Ort des Geschehens in der Stallschreiberstraße 42 aufzusuchen.

Im Grenzgebiet war die kleine DDR-Welt zu Ende, im Schatten der Mauer war es oft gespenstisch still. "Es war eine tote Ecke, da war nichts, keine Läden mehr ...", erinnern sich Regina Costa und Volker Hobrack.

Dann wurde am 9. November die Grenze überraschend geöffnet. Auch Volker Hobrack passierte den Übergang. Völliges Neuland. "Am Moritzplatz wusste ich nicht mehr, wo ich war."

Frau Costa konnte sich noch aus den Vor-Mauerzeiten an Kreuzberg erinnern: "1960 sind wir in den Schulpausen öfter rüber. Ich hab mir dort Kaugummi gekauft."


Abgedruckt in der "ecke köpenicker No 7/2014".
Wiederveröffentlichung hier mit freundlicher Genehmigung der Autorin Ulrike Steglich.

Alle bisherigen Ausgaben der Stadtteilzeitung "ecke köpenicker" für das Sanierungsgebiet Nördliche Luisenstadt hier zum Anschauen/Herunterladen.

Sehen Sie sich hier auch unsere Video-Dokumente aus dem Jahr 2001 an:

1991-2001: Rückblick in die Geschichte des Bürgervereins Luisenstadt

im Themen Bereich "Über den Bürgerverein".