Bürgerverein Luisenstadt e.V.
1 Gruendungsversammlung Aufmacher 530 Abbildung: Gründungsversammlung des Bürgervereins Luisenstadt in der Heinrich-Heine-Bibliothek (Foto: Mike Hughes).

Folgender Text aus DRUCKSACHE - dem Magazin der Erneuerungskommission KottbusserTor - Ausgabe Nr. 3 vom  22.03.1991:

"Für die Luisenstadt, bis 1920 ein eigener Stadtteil, hat der Fall der Mauer ganz besondere Folgen.

Denn trotz der Trennung durch die Bezirksgrenze von Mitte und Kreuzberg und später dann die Mauer existiert hier noch immer ein einheitlicher Stadtraum. Den will ein neugegründeter „Bürgerverein Luisenstadt" wiederentdecken.

Vierzehn Monate ist es nun her, dass sich an den Grenzübergängen die Menschen in die Arme fielen. Auch am Moritzplatz zwischen Kreuzberg und Mitte konnten Fotografen und Kamerateams massenhaft Bilder für Vereinigungs-Bildbände und Sondersendungen erbeuten.

Von der Party-Stimmung des 9. November ist mittlerweile nichts mehr übrig. Ossis und Wessis kümmern sich wieder um ihre alltäglichen Sorgen, die zumindest bei den einen ganz neue Qualität haben. In Berlin allerdings ist die Situation wie so oft etwas anders. Nirgendwo sonst vermischen sich Probleme/Ost und Probleme/West so stark wie hier, und kaum irgendwo in Berlin zeigt sich das so deutlich wie in der Luisenstadt.

Hier nämlich haben die Bürger nicht nur eine Menge gemeinsamer Schwierigkeiten, hier haben sie auch einen gemeinsamen Stadtteil - auch wenn der eigentlich gar nicht mehr existiert. Die Luisenstadt, das ist der Bereich zwischen der Spree, dem Spreekanal, der neuen Grünstraße, der alten Jakobstraße, der Gitschiner-, Skalitzer-und Oberbaumstraße, war bis zur Bildung Groß-Berlins im Jahre 1920 eine eigene Verwaltungseinheit. Auch nach ihrer Aufteilung zwischen den Bezirken Mitte und Kreuzberg bewahrte sie ihren Charakter, und erst der Mauerbau durchschnitt die alten Verbindungen.

Jetzt sind sie wieder offen, und mit ihnen jede Menge Fragen, die eine Reihe engagierter Bürgerinnen nicht den Planerinnen des Senats überlassen wollen. Und so kam es schon sehr schnell nach der Maueröffnung zu ersten Kontakten zwischen Luisenstädtern „Ost" und „West", wobei es in diesem Fall richtig „Nord" und „Süd" heißen muss. Und auf einer Diskussionsveranstaltung der Bücherei Oranienstraße, der Heinrich-Heine-Bibliothek und der Kirchengemeinde St. Jacobi Luisenstadt entstand dann am 6. Februar die Idee zur Gründung des „Bürgerverein Luisenstadt". Schon einen Monat später, am 19. Februar 1991, wurde zur Tat geschritten und die Gründungsversammlung abgehalten.

Der Andrang bei allen bisherigen Treffen beweist, dass bei den Bewohnern in Nord und Süd durchaus Interesse besteht. Die Gründe für diese Aufmerksamkeit dürften indes so verschieden sein wie die Probleme, die auf das Gebiet zukommen oder schon vorhanden sind. Erstaunlich ist allerdings, wieviel die Menschen noch etwas mit dem Begriff „Luisenstadt" anfangen können, der schließlich in den letzten 40 Jahren bestenfalls noch als Ortsbezeichnung gebräuchlich war - und dabei, je nach Standort, immer nur die Nord-oder Südhälfte meinte. Dass es sich dabei nur um eine Hälfte eines vor 150 Jahren geplanten Stadtteils handelte, war zumindest den Jüngeren kaum noch bewusst.

Als Peter Joseph Lenné, Chef-Stadtplaner des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV., 1843 einen neuen Bebauungsplan für das „Köpenicker Feld" aufstellte, spielten baumbestandene Boulevards und begrünte Plätze eine besondere Rolle. Lenné schrieb: „Dahin gehören auch die öffentlichen Spazierwege, deren Anlage und Vervielfältigung in einer großen Stadt nicht allein des Vergnügens wegen, sondern auch aus Rücksicht auf die Gesundheit dringend empfohlen werden muss." Deutlich sind in seinem Plan des neuen Stadtviertels deshalb nicht nur der heutige Mariannenplatz und eine großzügige Schmuckachse, die heutige Oranienstraße, mit drei charakteristischen grünen Plätzen zu erkennen. Lenné griff auch die alte Idee eines Nord-Süd-Kanals auf, den er in einem weiten Bogen zur Spree führte. Offensichtlich war dieser Kanal nicht in erster Line aus ökonomischen Gründen vorgesehen, sondern sollte (neben Entwässerungszwecken) als Flaniermeile dienen.

Inzwischen ist dieser „Luisenstädische Kanal" als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme gebaut und ebenso wieder zugeschüttet worden. Er wurde in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts zur Grünanlage umgestaltet und bildete vom Engelbecken bis zur Spree zunächst die Grenze zwischen den Bezirken Mitte und Kreuzberg. In diesem Abschnitt wurde er nach dem Krieg zur Sektorengrenze und mit dem Mauerbau vollständig planiert.

Die erste Forderung von Bürgern, Stadtplanern und Politikern beider Bezirke gilt deshalb der Wiederherstellung dieser wichtigsten Grünanlage der Luisenstadt. Gleich nach der Maueröffnung verabredeten die Baustadträtinnen von Mitte und Kreuzberg, Dorothee Dubrau und Franziska Eichstädt-Bohlig, eine Untersuchung der Wüste des Grenzstreifens. Damit sollte die Basis für eine Wiederherstellung der zerstörten Grünanlage und vielleicht sogar des zugeschütteten Engelbeckens geschaffen werden.

Das Gutachten war das erste einer ganzen Serie von Studien, die seitdem zur „neuen" Luisenstadt angefertigt wurden. (Die meisten davon konzentrieren sich Im Köllnischen Park auf den nördlichen Teil. Im Kreuzberger Teil, wo die IBA/S.T.E.R.N. schon seit Ende 1979 aktiv ist, gibt es wahrscheinlich kaum noch etwas zu erforschen.) Am 7. und 8. März trafen sich im Stadt Tor Experten, Planer und Politiker beider Bezirke, zu einem Werkstattgespräch, um das gesammelte Material zu sichten.

Leider, und das könnte auf zukünftige Konflikte hindeuten, nahmen die ebenfalls eingeladenen Vertreter der Senatsverwaltungen nicht teil. „Die wollen wohl," so vermutet Volker Härtig vom Stadt Tor, „lieber alleine 'rumtanzen".

Doch auch ohne Beteiligung der Hauptstadtplaner gaben die von S.T.E.R.N. gesammelten Papiere allerhand Diskussionsstoff.

Auch der zu dieser Zeit noch „in Gründung" befindliche Bürgerverein war zu dem Werkstattgespräch eingeladen, und damit hat die S.T.E.R.N. hoffentlich für alle anderen ein Zeichen gesetzt: dass in Zukunft niemand, der in der Luisenstadt Politik macht, an dem Verein vorbeikommen wird.

Soviel ist sicher, Stadtplanung wird auch in der „wiedervereinigten" Luisenstadt nicht nur ein wichtiges, sondern vor allem auch ein kontroverses Thema bleiben. Zwischen den Interessen der Bewohner, denen es vor allem um stabile Mieten, geringe Verkehrsbelastung und ein gutes Freiflächenangebot geht und der Metropolenplanung des Senats klaffen bisweilen Welten.

Schon jetzt zeichnen sich, nur ein Beispiel, Konflikte um die Köpenicker Straße ab. Der „Spreegürtel" lockt zu großzügiger Vergabe an finanzkräftige Investoren, Objekte wie etwa das BEHALA-Grundstück Köpenicker Straße 21-29 haben ihren Wert seit der Maueröffnung vervielfacht. Schon jetzt gibt es das Gerücht, mehrere Blöcke des Spreegürtels sollten komplett an eine kanadische Investorengruppe vergeben werden. Interessenten gibt es scheinbar reichlich, und so steht der Verwirklichung stadtplanerischer Mega-Projekte eigentlich nicht mehr viel im Wege -außer dem Interesse der Bewohner und des ansässigen Gewerbes an überschaubarer Planung und bezahlbaren Mieten.

Die Liste der städtebaulichen Knackpunkte lässt sich beinahe beliebig verlängern: Von den öden Plattenbau-Siedlungen im Heinrich-Heine Viertel über die Verkehrsplanung in Brücken-, Skalitzer oder Köpenicker Straße bis zur Nutzung und Gestaltung des ehemaligen Grenzstreifens haben dabei alle Probleme eines gemeinsam: Sie auf die lange Bank zu schieben wäre genauso verhängnisvoll wie das voreilige Verordnen vermeintlicher Patentrezepte.

Darum steht die erste Aufgabe des Bürgervereins bereits fest: In der nördlichen Luisenstadt soll ein Stadtteilausschuß ins Leben gerufen werden, um dort, ähnlich wie die EK im Süden, alle Beteiligten wenigstens zum Informations-und Meinungsaustausch an einen Tisch zu bringen.