Bürgerverein Luisenstadt e.V.

Am Dienstag, den 23.10.2012 um 11:50 Uhr verlegte der Künstler Gunter Demnig in Berlin Melchiorstraße 18 an der Grenze von Kreuzberg und Mitte zwei Stolpersteine für Selma und Paul Brandes.

Anwesend bei der kleinen Gedenkveranstaltung waren Familienangehörige und Freunde von Sebastian Sage. Der Ururenkel der Brandes erzählt uns die Geschichte der Familie ...

Selma Brandes, geboren Simon, wurde am 3. Februar 1858 in Berlin geboren. Ihre Eltern waren jüdischen Glaubens, Lesser Simon, am 17. Februar 1820 in Königsmark in der Neumark geboren und Fanny, geb. Mendelssohn, am 20. Dezember 1831 in Eberswalde geboren.

Selma Brandes war evangelisch getauft. Am 1. Mai 1880 heiratete sie den gebürtigen Berliner Hermann Brandes (geb. 1851). Hermann hatte eine kleine Fabrik für hölzerne Haushaltsgegenstände in Schmalkalden, damals in Hessen-Nassau, heute Thüringen.

 

Hermann Brandes nahm als „Kombattant" am deutsch-französischen Krieg 1870/1871 teil. Er starb 1905. Selma Brandes zog 1905, nach dem Tod ihres Ehemannes, wieder nach Berlin. Dort wohnte sie mit ihren sechs Kindern, Helena, Ludwig, Ernst, Paul, Hans und Käte, in der Melchiorstraße 18.

Ernst Brandes lernte 1917 als Hauptmann in Frankreich Karl Liebknecht kennen. Da dieser jeglichen Umgang mit der Waffe verweigerte, war es wichtig, ihn nicht an die vorderste Front zu schicken, denn Befehlsverweigerung vor dem Feind bedeutete die Todesstrafe. Laut Berichten soll sich Liebknecht bei Ernst Brandes mit den Worten bedankt haben: „Sie sind der erste vernünftige preußische Offizier, den ich kennen lerne."

Nach dem 1. Weltkrieg wanderte Ernst mit seiner Frau 1930 in die Niederlande und betätigte sich als Bauingenieur auf dem damals holländischen Java. Nach der Besetzung der Niederlande kam er auf die Geiselliste.

Paul Brandes wurde am 13. März 1886 in Schmalkalden in Hessen - Nassau geboren. Er war der Sohn von Selma, geb. Simon, und Hermann Brandes. Paul ging im Juli 1914 als Freiwilliger in den Militärdienst und wurde Unteroffizier, Um das Jahr 1928 heiratete er Gretel Schreyer aus Fürth, die aus erster Ehe eine Tochter, Annelies, in die Ehe einbrachte.

Aus der Ehe zwischen Paul und Gretel entstammten ein gemeinsamer Sohn, Lutz, der überlebte, indem er von seinem Vater zu Freunden nach London gebracht wurde. Paul Brandes war Kaufmann. Zunächst Vertreter und dann Mitinhaber der Thega-Kontakt, einer Firma zur Fabrikation von Elektroartikeln.

Nach der Machtübernahme wurde Paul im November bis Dezember 1938 für sechs Wochen im KZ Oranienburg-Sachsenhausen in „Schutzhaft" genommen. In dieser Zeit musste er seine Firma Thega-Kontakt aufgeben, die sein „arischer" Geschäftspartner übernahm. Paul musste Zwangsarbeit bei Hagenuk in Tempelhof leisten. Die Firma Hagenuk stellte ebenso wie Thega-Kontakt Telefonapparate her.

Im Sommer 1939 starb Gretel Brandes. Paul wohnte nun allein in der Kloppstockstraße im Hansaviertel. Mit dem Tod seiner Frau verlor Paul den Status aus der so genannten „privilegierten Mischehe" mit Kindern. Er wurde um 1942 - wahrscheinlich im Zuge der Fabrik-Aktion - nach Auschwitz deportiert.

Vom Sammelplatz in Berlin gibt es ein durch einen Überlebenden überliefertes Detail von Paul: Die SS - immer bürokratisch genau - selektierte nach „gewöhnlichen" Juden und „privilegierten" Juden. Paul Brandes fragte - in unangebrachter Korrektheit - den SS-Mann, wie dies bei ihm sei: die Frau tot, der Sohn im Ausland. Er musste nach links zu den Deportierenden. Er hätte ohne zu fragen, nach rechts gehen können und sollen. Im März 1943 wurde Paul in Auschwitz ermordet.

 

Kleiner Fotobericht von der Stolperstein-Verlegung:

Der Künstler Günter Demnig beginnt die Verlegung der Stolpersteine

Der Künstler Gunter Demnig beginnt mit der Verlegung der wertvollen Pflastersteine.

Die Gäste der Gedenkveranstaltung schauen fasziniert ...

... der routinierten Arbeit zu.

In wenigen Minuten ist der handwerkliche Teil der Aktion erledigt.

Volker Hobrack vom Bürgerverein Luisenstadt erinnert mit einigen Sätzen an das Leben in der Melchiorstraße vor 1945.



Mehr über Gunter Demnig und das Projekt "Stolpersteine":

· www.stolpersteine.com

· www.gdw-berlin.de

· de.wikipedia.org/wiki/Stolpersteine

· www.stolpersteine-berlin.de (evtl. noch nicht freigeschaltet)

Lesen Sie dazu auch: Stolperstein-Verlegung in der Ohmstraße 1