Bürgerverein Luisenstadt e.V.
Claudia Hertel und Volker Hobrack vom Bürgerverein Luisenstadt zu Gast bei Historiker Kurt Wernicke

Kurt Wernicke bei Youtube

Angemeldet per E-Mail und bestätigt per Telefon vermittelt der erste Kontakt den Eindruck eine lebhafte Person anzutreffen.

Wir kommen zu zweit und werden herzlich begrüßt und in seine kleine Wohnung hineingebeten.

Hier in einem Köpenicker Neubauviertel wohnt er seit wenigen Jahren in einer Q3-Wohnung, nachdem seine Frau gestorben ist und er hunderte Bücher seiner Bibliothek aus Platzmangel dem Heimatverein Köpenick übergeben hat.

Trotzdem ergibt sich der Eindruck einer Schreibwerkstatt um den PC-Arbeitsplatz herum unter Literatur- und Heimatkalendern und Bücherregalen.

Mit 90 ist Kurt Wernicke immer noch mit historischen Themen befasst mit einem täglich selbst abgesteckten Arbeitspensum.

Im kleinen Wohnzimmer sind die Kaffeetassen platziert und hier beginnt er zu erzählen.

Wir brauchen ihn nicht lange bitten, es sprudelt aus ihm heraus in einer überaus lebhaften Erzählweise. Nicht eine Minute steht sein Mund still und keinen Moment lang ist es langweilig seinem Lebensweg zu folgen.

 

Geboren in Berlin als Sohn eines Maurers und einer Wäschenäherin, erlebte er nach 1940, als sein Vater mit seiner Familie wieder in dessen Geburtsstadt Thorn in Westpreußen - nun "Reichsgau Danzig-Westpreußen" - zurücksiedelte, Herrenmenschentum in Reinkultur:

Der amtlich betonte Unterschied zwischen "Deutschen aus dem Altreich" und "Volksdeutschen" war für den Berliner, der nur Berliner kannte, belastend und schärfte seinen jugendlichen Blick für amtlich kultivierte Überheblichkeit; diese erlebte er noch zusätzlich in dem Druck auf Familien, die Familiennamen polnischen Ursprungs - ganz anders als in Berlin, wo solche Familiennamen eine alltägliche Erscheinung waren - einzudeutschen und ihrer familiären Identität zu entfremden.

In dem ihm ungewohnten Milieu wurde so seine mentale Bindung an die vermisste Geburtsstadt untergründig gestärkt.

Der Verlauf des 1939 losgetretenen Krieges wischte den "Reichsgau Danzig-Westpreußen" wieder weg, was die Familie Wernicke wieder nach Berlin, und dort nach Friedrichshagen führte, an dessen König-Friedrich-Gymnasium er 1948 sein Abitur ablegte. Dessen Note "mit Auszeichnung" öffnete ihm im Herbst d. J. die damals recht schmale Pforte zur Immatrikulation an der Humboldt-Universität, wo er sich dem Studium der Geschichte zuwandte.

Als Historiker arbeitete er dann ab 1952 im Museum für deutsche Geschichte im früheren Zeughaus Unter den Linden.

Angepasst an die neuen politischen Verhältnisse in der DDR, u.a. als Vorsitzender der Betriebsgewerkschaftsleitung, hatte er ein breites Arbeitsfeld und doch nur begrenzte Möglichkeiten der fachlichen Einflussnahme: viele Ausstellungen waren auf die Jahrestage der Geschichte der Arbeiterklasse ausgerichtet; Vorschläge zu anderen Themen nur punktuell durchzusetzen.

Die Stadtgeschichte Berlins wurde sein Schwerpunkt und seine Leidenschaft. Zahlreiche Veröffentlichungen in Jahresbüchern und historischen Journalen belegen das. Zum Bespiel hat er mehrere wissenschaftliche Untersuchungen zur Märzrevolution 1848 veröffentlicht und u.a. belegt, dass unter den über 200 Opfer der Barrikadenkämpfe vom 18./19.März auch Lehrlinge - selbst solche jüdischer Herkunft - waren.

Mit der Wiedervereinigung 1990 wurden er und die meisten seiner Museumskollegen beruflich abgewickelt. Das geschah weitgehend unbemerkt und rein formalistisch.

Historiker aus der früheren DDR, auch promovierte wie Kurt Wernicke, konnten kaum auf fachliche Wertschätzung unter den veränderten politischen Verhältnissen rechnen. In einem dokumentierten Interview mit einem anderen Fachkollegen hat er seine Enttäuschung sehr deutlich artikuliert.

Nach einem kurzen beruflichen Intermezzo bei der Historischen Kommission zu Berlin fand Wernicke eine Beschäftigung beim Bildungsverein Luisenstadt, der von Dr. Hansjürgen Mende geleitet wurde. Dieser Bildungsverein war eine Art Auffanggesellschaft für arbeitslose Historiker und Gesellschaftswissenschaftler der früheren DDR. Hier wurde von diesen Fachleuten eine große Anzahl von Recherchen zur Stadtgeschichte angestellt, insbesondere auch der der Luisenstadt.

Vor allem wurden Biographien, Anekdoten, Zeitzeugenberichte, Rezensionen, Fotos u.a. zusammengetragen, die in der Geschichtsaufarbeitung der DDR kaum und gar keine Beachtung gefunden hatten. Die Ergebnisse dieser Recherchen wurden in den Berlinischen Heften veröffentlicht, die bis 2001 erschienen sind.

Kurt Wernicke hatte seinen gewichtigen Anteil daran, war Autor, Lektor und Rezensent: "Gegenwärtig gibt es keine richtigen Lektoren mehr, "Kommata werden mit der Schrotflinte in die Texte geschossen…" (K.W.)

Als Rentner hat Kurt Wernicke weiter Stadtführungen gemacht. Er kannte sich aus mit den baulichen Resten der historischen Berliner Stadtteile Friedrichstadt, Dorotheenstadt und Luisenstadt. Und er liebte besonders den Altstadtkern von Köpenick.

Der Heimatverein Köpenick hat ihm zu seinem 90. Geburtstag eine besondere Laudatio gewidmet.

Als Freizeitsegler war er in Friedrichshagen und Köpenick zu Hause, kannte aber auch alle Wassersportvereine im Müritz-Seengebiet. Bis vor kurzer Zeit war er Schiedsrichter bei den Berliiner Segelregatten.

Seine Erzählungen über die Schwierigkeiten der Wiederannäherung der Segelclubs von Wannsee und Müggelsee sind einen Extrabericht wert, berichten über Bemühungen misslungener und geglückter Wiedervereinigungen.

Jetzt wollen seine Beine nicht mehr recht mitmachen, um die weiten Wege zu Sport- und Vereinsveranstaltungen zu bewältigen. Zwei Stunden sind schnell vergangen und noch immer ist sein Redefluss nur mit deutlicher Höflichkeit zu stoppen. Mit einem Nachdruck von Luisenstädtischen Geschichten (eine von ihm) sind wir gekommen.

Vor 20 Jahren herausgegeben von Dr. Mende. Fast beschämt nehmen wir als Gegengeschenk ein dickes Kompendium über Berliner Begräbnisstätten entgegen, das er mithalf zusammenzustellen. Es ist aus dem Nachlass von Dr. Mende. Wieder führt die Spur zurück in die Luisenstadt.

Beim Verabschieden vergesse ich meine Brille. Nach kurzer Autofahrt holt uns Kurt Wernicke telefonisch zurück. Seine schweren Beine beachtet er nicht und kommt uns lebhaft gestikulierend entgegen.

Ein vitaler 90er!

Volker Hobrack

 

Video - Kurt Wernicke im Kulturverein "Hauptmann von Cöpenick" (2014):

Geschichte Preußens - Teil 1 - Dr. Kurt Wernicke - Auschnitt (6:11 Min).
Weitere Ausschnitte (Teil 2 und 3) auf eben diesem Youtube Kanal.

Mit Hurra in den 1. Weltkrieg - Dr. Kurt Wernicke (1:17 Std)

Lizenz der o. a. Fotos/Videos;
Creative Commons-Lizenz mit Quellenangabe (Wiederverwendung erlaubt) - Youtube Kanal Fabian Splittgerber

Texte von Kurt Wernicke hier auf unserer Homepage:

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ecke jun juli"ecke köpenicker" ist eine Zeitung, erscheint achtmal im Jahr kostenlos und wird herausgegeben vom Bezirksamt Mitte, Stadtentwicklungsamt, Fachbereich Stadtplanung.

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