Bürgerverein Luisenstadt e.V.

Fusztour 3 Karte


> Stadtplan-Skizze der Fußtour in der Großansicht


Leseprobe

Kreuzberg einmal anders - Impressionen links und rechts des Landwehrkanals / Teil 2

Von Frank Eberhardt *)

Text und Illustration: Auszug aus unserem Nachdruck des Buches "Die Luisenstadt - Geschichte und Geschichten über einen alten Berliner Stadtteil". Seite 280 - 285. Abbildungen in Schwarz-Weiß ebenfalls dem Buch entnommen.
Tourbeschreibung verfasst 1994/1995 - vergleichen Sie bei Ihrem Spaziergang doch mal gestern und heute.

*) Diese Tour aus unserem Luisenstadt-Buch verfasste Dr. Frank Eberhardt, 1. Gründungs-Vorstand im Jahr 1991 (hier im Interview)

Den zweiten Teil der Tour kann man mit einem "Dampfer" fortsetzen, an der Haltestelle Kottbusser Brücke einsteigen und nach 30 Minuten am Gröbenufer oder an einer anderen Haltestelle wieder absteigen: Schöne Häuserfassaden sind an beiden Seiten des Kanals zu bewundern, eine Schleuse zu passieren.

Es ist aber auch möglich, etwa 2 1/2 Kilometer entlang dem Landwehrkanal zu laufen und bei kurzen Abstechern nach links und rechts Interessantes zu sehen, wenig Bekanntes zu erleben.

Wir befinden uns hier im ehemaligen "Berlin S0 36", von den Bewohnern geliebt, von manch anderem beschimpft, aber immer ureigenstes Berlin. Ausgangspunkt ist die Kottbusser Brücke, mit der U-Bahnlinie 8 bis Schönleinstraße bequem zu erreichen.

Der Weg führt am Paul-Lincke-Ufer entlang.

Seit dem 90. Geburtstag Linckes (1866-1946) trägt die Uferstraße seinen Namen. Paul Lincke wohnte die überwiegende Zeit seines Lebens in Kreuzberg und besaß hier auch einen Verlag in der Oranienstraße 64 (im Krieg zerstört, heute Gedenktafel am Neubau, die Büste Linckes davor).

Das sechsgeschossige Wohnhaus "Erdmannshof" (1) in Nr. 39/40 wurde 1908-10 von Ernst Schneckenberg und Karl Bernhard errichtet. Im Inneren des Grundstücks befindet sich ein Gewerbehof.

Fusztour 4 Erdmannshof

Beim Weitergehen links eine bescheidene Kirche, die Ölberg-Kirche (2). Seit 1911 gab es eine eigene Gemeinde ohne Kirche, diese wurde dann von Curt Steinberg 1922 gebaut. 1943 durch Luftminen zerstört, war sie 1950 wiederhergestellt. 1971 Errichtung eines modernen Gemeindezentrums. Mit Kirche, Neubau und einer begrünten Freifläche bildet sie eine gelungene Anlage.

Die Hobrecht-Brücke verbindet Kreuzberg mit Neukölln. 1900 erbaut, erhielt sie ihren Namen nach Stadtbaurat James Hobrecht (1815-1902), der 1861 den Bebauungsplan für die Umgebung Berlins und 1873 den sog. Hobrechtschen Plan für die Entwässerung entwarf. In 29 Jahren wurden zwölf Radialsysteme errichtet, die heute noch die Grundlage der Entsorgung der Stadt darstellen. Die Brücke wurde nach ihrer Zerstörung 1945 in den Jahren 1954/55 in ihrer jetzigen Form errichtet.

An der Ecke Ohlauer Straße befindet sich ein Umspannwerk. Der eindrucksvolle, fast expressionistische Zweckbau aus Klinkern des Architekten Hans Müller wurde 1925 fertiggestellt.

Einige Schritte weiter in der Ohlauer Straße 39-41 befand sich die erste Desinfektionsanstalt (3) Berlins. Aus Anlass der Cholera-Epidemie in Frankreich 1884 wurde nach Entwürfen des Stadtbaurats H. Blankenstein 1885/86 eine Desinfektionsanstalt gebaut. Kleider, Bettwäsche, Matratzen, später auch Wohnungen wurden bei ansteckenden Krankheiten desinfiziert. Nach 1945 war sie auch Entlausungsanstalt. 1987 Schließung, die "Desi" zog in die Wiener Straße. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz.

Weiter führt uns der Spaziergang entlang dem Kanal zur Thielen-Brücke, 1915-17 erbaut. Sie erhielt ihren Namen nach dem Minister Karl von Thielen (1832-1906), der sich für den Bau des Dortmund-Rhein- und des Mittellandkanals einsetzte. Das linke Haus an der Ecke Paul-Lincke-Ufer/Glogauer Straße zeigt noch die Pracht der hier kurz vor dem Ersten Weltkrieg gebauten Jugendstilhäuser. Im Gegensatz dazu der nüchterne Nachkriegsbau auf der anderen Straßenseite.

Fusztour 4 Bruecke

Einige Schritte in die Glogauer Straße hinein finden wir rechts die Martha-Kirche (4), von Dinklage und Paulus 1906 im Stil der deutschen Neorenaissance errichtet. Die Kirche steht hinter der Straßenfront, an dieser das vorgebaute Pfarrhaus mit zwei Turmspitzen und zwei großen Torbögen. 1970/71 Umbau durch Hartning und Strauchmann zur Gewinnung eines Gemeindezentrums.

Fusztour 4 Direktorenhaus

Gegenüber ehemaliges Direktorenwohnhaus und Turnhalle der im Krieg zerstörten Doppelgemeindeschule, heute als Bibliothek und Kita genutzt. An der Biegung des Kanals nach Norden sehen wir den Abzweig des Neuköllner Schiffahrtskanals (5). Ursprünglich ein Wiesengraben, 1902-1914 in mehreren Bauabschnitten zur Verbindung zwischen Landwehr- und Teltowkanal hergestellt, 4,1 Kilometer lang.

An der Abzweigung befand sich seit 1848 bis 1954 das Studentenbad, im Volksmund "Stute" genannt. Von hier bis zur Einmündung des Landwehrkanals in die Spree laufen wir entlang der ehemaligen Grenze zur DDR.

Auf dem östlichen Ufer verlief die Mauer, von Wachtürmen wurde jeder Schritt der hier Laufenden mit Ferngläsern beobachtet.

Heute können wir unbeobachtet die kleine Parkanlage und den anschließenden Uferweg bis zur Reichenberger Straße durchqueren. Diese gilt als Musterbeispiel eines urbanen Boulevards. Breite Bürgersteige, Radwege, Straßenbäume, viele kleine Läden.

In der Reichenberger Straße finden wir Kunst unter den Füßen: Mosaiken auf beiden Fußwegen, die an Geschichte und Gegenwart der jeweiligen Blöcke anknüpfen.

Zwischen Glogauer und Ratiborstraße wurde auf beiden Straßenseiten das Motiv "Fluß-Welle-Fisch" des Künstlers Nabuho Nagasawa gestaltet, womit das soziale Engagement der Kirche, hier speziell der Martha-Gemeinde, für die Bewohner des Gebietes zum Ausdruck gebracht werden soll. Diese Mosaiken sind bis zur Skalitzer Straße vor fast jedem Häuserblock zu finden.

Weiter führt der Weg am Görlitzer Park (6) vorbei; an Stelle des im Krieg teilzerstörten, später abgerissenen Görlitzer Bahnhofs (1866-68 von August Orth erbaut) wurde ein Park errichtet, der aus 20 Teilbereichen bestehen wird. Kinderbauernhof und Sportanlagen, Hügel und Feuchtbiotop sollen eine abwechslungsreiche Erholung ermöglichen. Der Park wird bereits jetzt von der Bevölkerung stark in Anspruch genommen.

Weiter zur Tabor-Kirche (7): 1903-1905 von Schwartzkopff und Brückner im neogotischen Stil erbaut. Die ursprünglich hohe Turmspitze wegen Kriegsschäden 1964 abgetragen.

Das Heckmann-Ufer erinnert an Carl Justus Heckmann (1786-1878), der 1836 an dieser Stelle sein Messing- und Kupferwalzwerk für die Herstellung von Gefäßen für die im Entstehen begriffene Rübenzuckerindustrie baute. Das Werk wurde später nach Duisburg verlegt.

An der Schlesischen Straße führt uns der Weg zuerst nach rechts auf die Lohmühleninsel. Der Name stammt von einer 1752 hier errichteten Lohmühle, die zum Gerben benötigte Baumrinde vermahlte. Wegen der großen Feuergefahr der verwendeten Produkte mussten Lohmühlen außerhalb der Stadtmauer liegen. Die Insel entstand, als der Floßgraben zum Landwehrkanal ausgebaut wurde. In den folgenden Jahren siedelten sich vor allem holzverarbeitende Betriebe an.